Laliderereinsatz 22./23. September 1975
1975 befand sich die Flugrettung noch in der Entwicklung. Auf allen Ebenen wurde die Zusammenarbeit zwischen Flugrettung und Bergrettung diskutiert und es schienen gravierende Änderungen notwendig zu sein. Die Zweckmäßigkeit der vorhandenen Einrichtungen, vor allem die der Flugrettungsmannschaft bei der FLESt. des BMfI in Innsbruck und auch die Zusammenarbeit zwischen den Ortsstellen und den anderen Blaulichtorganisationen, wurde durch die erfolgreiche Abwicklung dieses außergewöhnlichen Einsatzes eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Ein deutscher Kletterer stürzte am 22.9.1975 um ca. 13h vom gelben Pfeiler, am Ende der Hauptschwierigkeiten der direkten Nordwandführe an der Lalidererspitze, ca. 60m ins Seil. Er war zunächst bewusstlos und hing im Seil. Sein Partner hielt den Sturz mit der Stichtbremse und brach sich dabei den Mittelfinger. Der Gestürzte wurde von seinem Kameraden, der sich zu ihm abseilte, auf ein Band gezogen und dort liegend gesichert. Nach einiger Zeit konnte er sich erholen und seinen „Schock“ langsam abbauen. Die Schürfverletzungen am Kopf und sein gebrochener Oberarm erwiesen sich schließlich als so gravierend, dass an einen weiteren Aufstieg nicht mehr zu denken war.
Auf der Falkenhütte hatte man die Notsituation erkannt und die Flugrettung verständigt. Peter Strasser, der diensthabende Pilot an der FLESt. Innsbruck, verständigte den Flugretter Gilbert Posch, den er trotz aufziehender Gewitter, unverzüglich ins Karwendel flog und am Wandfuß der Laliderer Nordwand absetzte. Reiner Pickel, ein deutscher Heeresalpinist, war gerade aus der Nordwand zurückgekommen und stellte sich sofort für die dringend nötige Bergungsaktion zur Verfügung. Gilli Posch stieg umgehend mit Reiner Pickel in die Rebitsch-Spieglführe (direkte Nordwand) ein. Sie nahmen das Ende eines langen Versorgungsseiles mit und kletterten die äußerst schwierigen Seillängen bis zur Unfallstelle wo der Verletzte lag, auf.
In der Zwischenzeit wurden die BR-OST Scharnitz, Seefeld und Innsbruck verständigt, weil unbedingt eine Rettungsmannschaft nachgeschickt werden musste. Eine direkte Bergung durch den HS war aus mehreren Gründen unmöglich. Einerseits kannte man damals noch nicht die Technik mit der „Longline“, die Verletztenaufnahmen auch aus steilstem Gelände ermöglicht und andererseits wäre eine derartige Aktion schon aufgrund des schlechten Wetters undenkbar gewesen.
Um 16h30 wurden Robert Troier und Walter Spitzenstätter von Insp. Hans Neumayr vom laufenden Laliderereinsatz informiert, die aufgrund der gemeinsamen Kenntnis des betroffenen Anstiegs, sicher waren, die Bergung durchführen zu können. Sie wurden mit der Funkstreife zum Flugplatz gebracht und von Pilot Giacomuzzi mit der Lama vom Flugunternehmen Dr. Schuh, im direkten Flug über die Birkkarspitze bis zum Karwendelhaus geflogen. Die Lalidererspitze war total im Nebel, sodass man nicht näher an die Wand herankam. Der Jäger von der Angeralm führte sie mit seinem Haflinger hinüber zur Falkenhütte, wo zunächst die Lage genau erkundet wurde. Um 18h erreichten die beiden den Einstieg zur direkten Nordwand.
Gilli Posch und Reiner Pickel waren bereits fast bei den Verletzten, sodass die nachgerückten Bergretter nicht mehr einzusteigen brauchten. Man entschloss sich das Bergungsmanöver mit Hilfe des Versorgungsseiles vom Wandfuß aus zu steuern. Es wurde inzwischen schon dunkel, doch Gilli konnte über Funk versichern, dass er mit seiner Stirnlampe bestimmt die Verletzten erreichen werde. Am Spielißjoch wurde die Aufstellung von drei Lichtaggregaten organisiert, die die Wand recht gut auszuleuchten vermochten. Allerdings dauerte es bis nach Mitternacht, bis sich der Nebel soweit verzogen hatte, dass man tatsächlich von den Lichtaggregaten profitieren konnte.
Gilli seilte die Verletzten nach der Erstversorgung, behelfsmäßig bis zum guten Stand unter dem gelben Turm ab. Hier baute er eine sichere Verankerung, über die man das Abseilmanöver von unten gesteuert vornehmen konnte. Nach ausführlichem Funkkontakt, konnte um 02h früh mit den Vorbereitungen für die Bergungsaktion begonnen werden. Eine kleine Tasche mit einem Funkgerät (nachdem das andere gerade ausgefallen war), einer Umlenkrolle und einigen Raketen (für den Notfall, wenn der Funk ganz ausfallen sollte), hing die Bodenmannschaft mit dem Stahlseil an die Versorgungsschnur, die nun 200m aufgezogen wurde.
Über die Umlenkrolle wurde das Stahlseil gelegt, der Verletzte Kletterer angehängt und, weil er die Füße unverletzt hatte, alleine von unten gebremst (über Funk gesteuert) bis zum Wandfuß abgeseilt. Neuerlich wurde das Stahlseil 200m aufgezogen, der zweite Kletterer angehängt und mit allem Material, das nicht mehr gebraucht wurde, wieder von unten gesteuert, abgeseilt. Um 03h30 waren beide Verletzten in Sicherheit und wurden von Flugrettungsarzt Dr. Biedermann betreut. Einer der Verletzten weigerte sich in die Klinik nach Innsbruck eingeliefert zu werden, er wurde schließlich nach Garmisch gebracht.
Ein drittes Mal musste das Manöver mit dem 200m Seilaufzug wiederholt werden, weil zuletzt die beiden Retter Gilli Posch und Reiner Pickel aus der Wand geholt werden mussten. Beide zusammen erreichten um 05h den Wandfuß. Während des Abstiegs, am Weg zur Falkenhütte, begann es gerade hell zu werden. Beim ausgiebigen Frühstück, das der Hüttenwirt Peter Kostenzer für die Einsatzmannschaft vorbereitet hatte, konnten sich alle zusammen so richtig freuen über diese beispielhaft gut funktionierende Bergung aus der schwierigsten Stelle der Laliderer Nordwand, bei der zwei junge Burschen lebend gerettet werden konnten. Dass dies trotz der schlechten Wetterbedingungen innerhalb einer Nacht erfolgreich beendet werden konnte, stellt die Besonderheit dieses spektakulären Einsatzes dar.
Dieser Einsatz war der Beginn einer intensiven Bergrettungskarriere, die sich vom begeisterten Berg- und Flugretter Gilli Posch, über den sich daraus entwickelnden BR-Arzt Dr. Gilbert Posch, zum beruflich tätigen Flugrettungsarzt beim Notarzthubschrauber Christophorus 1, erstreckt. Dr. Gilbert Posch hat über 40 Jahre lang Rettung aus Bergnot betrieben und mit seiner großen Erfahrung wesentlich an der Entwicklung von Sicherheitsstandards im Flugrettungswesen beigetragen. Er wurde 2016 für sein Lebenswerk mit der höchsten Auszeichnung, die es im alpinen Rettungswesen gibt, dem „Grünen Kreuz“ ausgezeichnet.
(Text: Walter Spitzenstätter 12.12.2016)