Verdienstentgang – Stundensatz
Immer wieder kommt die Rede auf die Ehrenamtlichkeit der Bergretter, wenn jemand eine Rechnung für die Leistungen von Rettung aus Bergnot erhält. Wie kann das sein, dass Stundensätze verrechnet werden, die von Menschen erbracht werden, von denen man sagt, sie seien ehrenamtlich tätig? Zur Erklärung dieses nicht einleuchtenden Umstandes, lohnt sich ein Blick in die Geschichte der Bergrettung Tirol zu werfen:
Im Sinne der idealistischen Vorstellungen der Bergrettungsgründer besteht wunderbarerweise auch heute noch keinerlei Verlangen danach, dass der Zeitaufwand, der für die Rettung am Berg von den Mitgliedern der BR geleistet wird, finanziell oder anderweitig vergütet wird. Die hehre Auffassung, dass Bergretter ihre Freizeit für die Rettung am Berg ohne Gegenleistung zur Verfügung stellen, ist nach wie vor fest verankert und stellt den Kern jener Reputation dar, die dem Bergrettungswesen seit jeher entgegengebracht wird. Gerade dieses ehrenamtliche Engagement wird von allen Seiten immer wieder in höchstem Maße anerkennend hervorgehoben.
Beim Blick in die Vergangenheit (1900 bis 1950) erkennt man, dass in allen Teilen des Landes Männer im BRD tätig waren, die als Arbeiter ihren Lebensunterhalt meist in Form von Wochenlöhnen abgerechnet bekamen. Solche Leute verloren durch die nicht erbrachte Arbeitszeit während eines BR-Einsatzes genau jenes Entgelt, das sie im Falle normaler Arbeitszeit erhalten hätten. Die Abgeltung dieser Verdienstausfälle musste vorgenommen werden, weil in diesen Fällen die Leute nicht nur ehrenamtlich tätig gewesen wären, sondern sie hätten sogar noch dafür bezahlen müssen, dass sie während der Arbeitszeit im Einsatz waren. Die im Betrieb nicht geleistete Arbeitszeit fehlte ganz einfach im Lohnsackerl.
Es wurde deshalb früher der Verdienstentgang bei Einsätzen den Bergrettern ersetzt, ohne dass deshalb die Ehrenamtlichkeit in Frage gestanden wäre. Die anfänglich sehr komplizierte Verrechnung der Verdienstentgänge wurde bald in ein System umgewandelt, das durch die Berechnung einer Pauschale für Verdienstentgang einfach bei jedem Einsatz zur Verrechnung kam. Mehr und mehr häuften sich die Fälle, wo nun Einnahmen erzielt wurden, die von vielen Bergrettern nicht in Anspruch genommen wurden, weil sie durch ihren Zeitaufwand bei Einsätzen keinen Abzug bei ihren Gehältern hinnehmen mussten. Beamte, Angestellte, Freiberufler, etc., die tatsächlich keinen Verdienstentgang erlitten, haben keinerlei finanzielle Abgeltung ihrer Einsatzzeit bekommen.
Als Gebühr für die Dauer und den Umfang eines Einsatzes, hatte man den „Stundensatz“ eingeführt. Dieser wurde nun immer bei den Unfallverrechnungen angewendet. Der Übergang vom „Verdienstentgang“ zum „Stundensatz“ war fließend und auf Nachfrage erklärte man die Zusammenhänge. Man machte vor allem immer wieder darauf aufmerksam, dass dieser Stundensatz die einzige Möglichkeit bietet, Aufwand und Umfang einer Bergung zu bemessen. Allgemeine Akzeptanz, sowohl bei der Landesregierung, wie auch bei den Versicherungen, wurde erreicht.
Die nicht beanspruchten Gelder aus dem Titel Stundensatz wurden immer mehr und im Laufe der Zeit gab es bald keine BR-Mitglieder mehr, denen ein echter Verdienstentgang abgegolten werden musste. Auf diese Art konnte wenigstens ein Teil jener Gesamtkosten hereingebracht werden, die insgesamt für die Infrastruktur des Bergrettungswesens erforderlich sind.
1972 wurde in allen Ortsstellen die Zustimmung der BR-Mitglieder zur offiziellen „Verzichtserklärung aller BR-Männer“ auf den ihnen zustehenden Stundensatz zugunsten ihrer Ortsstelle eingeholt. Dies ging ohne jede Entgegnung über die Bühne. Diese „Verzichtserklärung aller BR-Männer“ war praktisch nur die offizielle Zustimmung zu jener Praxis, die bereits lange Zeit geübt wurde und ab nun (1972) den Stundensatz endgültig vom Verdienstentgang der Bergretter zur Einnahmequelle der OST wandelte.
Einzig für die mit diesen Gegebenheiten nicht vertrauten Betroffenen (die Verletzten), stellt sich oftmals die Frage nach der Ehrenamtlichkeit der Bergretter, wenn diese in ihrer Unfallabrechnung pro Mann und Stunde der Dauer des Einsatzes, einen gewissen Betrag in Rechnung stellen. Deshalb laufen seit einiger Zeit Überlegungen, wie man die Leistung der Bergung, die für den Verletzten erbracht wird, in Form einer Pauschale in Rechnung stellen könnte. Jedenfalls wäre eine pauschale Abgeltung für bestimmte Arten und Umfänge von Einsatzleistungen, besser geeignet, die tatsächlich bestehende Ehrenamtlichkeit der ausführenden Personen sichtbar zu machen. Auf die Einhebung eines finanziellen Äquivalents für eine erbrachte Hilfeleistung kann jedoch keinesfalls verzichtet werden. Klar sollte dabei nur sein, dass kein einziger Euro als Abgeltung für den Zeitaufwand der Retter verwendet wird. (spitz)