Tragisches Unfallgeschehen in den Kalkkögeln (4.– 6. Oktober 1953)
Großes Aufsehen, nicht nur in den Medien, sondern vor allem in der Bergsteigerschaft Tirols, verursachte ein Ereignis in den Kalkkögeln, das eigentlich als „normaler“ Bergunfall bezeichnet worden wäre, der sich aber durch die Verkettung von unglücklichen Umständen, zu einer wahren Tragödie ausweitete. Die besondere Tragik dieser Geschehnisse gipfelt in der Tatsache, dass einer der ganz großen Alpinisten der damaligen Zeit, Hannes Schmidhuber, in wahrer Selbstaufopferung während dieser Bergung ums Leben gekommen ist.
Hannes Schmidhuber war beim AV als Jungmannschaftsführer tätig, er kümmerte sich vor allem um die Jugend. Hermann Buhl und Erich Streng waren seine besonders betreuten Nachwuchstalente, die er mit der Technik des extremen Kletterns vertraut machte. Mit seinem Kletterpartner Hias Auckenthaler hat Hannes Schmidhuber viele Neutouren in den heimatlichen Bergen eröffnet und die schwierigsten Anstiege wiederholt. So fand Schmidhuber mit Auckenthaler bereits 1933 den ersten Durchstieg durch die Nordwand der Lalidererspitze und schaffte 1935 den bis heute schwierigsten Nordwandanstieg durch die Praxmarerkarspitze. Auch die Westwand der Riepenwand gehört zu den schwierigsten Anstiegen, die Hannes erstbegangen hat.
Schmidhuber war auch intensiv mit Bergrettung beschäftigt. Er war an der Erprobung des Stahlseilgerätes bei der Heeres-Gebirgs-Sanitätsschule in St. Johann beteiligt und als Bergführer auch im Ausbildungsteam. Zahlreiche Bergungen aus schwierigstem Gelände hat Hannes Schmidhuber in leitender Funktion absolviert und meist zu einem glücklichen Ende verhelfen können. Er ist einer der ersten Träger des Grünen Kreuzes, der höchsten Auszeichnung für Rettung aus Bergnot. Hannes Schmidhuber war ein Mensch mit absolutem Einsatz für alles was mit ehrenhaftem Alpinismus zu tun hat. Dies wurde durch seinen letzten Einsatz in der Riepenwand drastisch vor Augen geführt.
Obwohl Schmidhuber erst vor kurzem von einer Bruchoperation aus dem Spital entlasssen und noch etwas geschwächt war, gab es für ihn keine Sekunde Überlegung, ob er sich an der anstehenden Bergung eines gestürzten Kameraden aus dem oberen Bereich der Riepenwand NW-Wand beteiligen sollte. Ganz nach seiner Art, mit vollem Einsatz leitete er die Bergung des, mit Nierenquetschungen und einem zertrümmerten linken Knöchel verletzt in der Ausstiegsschlucht liegenden Franz Bichler, den man zunächst ca. 100m zum Grat aufseilen musste. Es gelang nicht, den Verletzten noch am Sonntag zu bergen, weil starker Regen und später Schneefall, die Rettungsaktion arg behinderte. Mehrere Einsatzgruppen der Bergrettung aus Innsbruck und aus Fulpmes waren im Einsatz und wurden bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gefordert. Das nasse Biwak von Sonntag auf Montag, dann die Abseilaktion über den vereisten Nordgrat dauerte erneut den ganzen Montag. Dabei verletzten sich 2 Mann der Rettungsmannschaft, einer am Fuß, der andere mit einer Schulterluxation. Somit hatte man drei Verletzte zu versorgen und abzutransportieren.
Bei Hannes Schmidhuber bemerkten die Kameraden während des Abstieges bereits Anzeichen von Erschöpfung. Manfred Cartellieri und Karl Glätzle waren mit Hannes Schmidhuber beim Abstieg vom Nordgrat in Richtung Schlickerseite vom richtigen Weg abgekommen und sind bei Einbruch der Dunkelheit auf einem Band nicht mehr weiter gekommen, zu sehr geschwächt war Schmidhuber bereits. Auf die mit Überzeugung ausgesprochene Anweisung von Hannes: „Mander, rettet’s es euch wenigstens!“ versuchten Cartellieri und Glätzle irgendwie in der Dunkelheit eine Möglichkeit zu finden um in die Rinne und dann weiter auf die Riepenscharte zu gelangen, was schließlich auch gelang. Nach Mitternacht erreichten die beiden die Pichlerhütte und berichteten vom schlechten Zustand Schmidhubers, den sie auf einem Band in der Riepen SO-Wand zurücklassen mussten.
Von der Schlickerseite aus stiegen am Dienstag in aller Frühe frische BR-Mannschaften aus Innsbruck und Fulpmes auf, um Schmidhuber zu suchen. Hubert Niederegger und Hans Gogl fanden ihn in sitzender Position an einer Reepschnur gesichert, mit gesenktem Kopf. Während der Nacht haben die letzten Lebensgeister den Kämpfer Hannes Schmidhuber verlassen.
Die Gewissheit, dass dieser bedeutende Bergsteiger (Gipfelstürmer) und Bergretter tatsächlich im Zuge eines außergewöhnlich harten Bergrettungseinsatzes sein Leben lassen musste, hat allseitig tiefe Betroffenheit ausgelöst. Der aufopferungsvolle Tod von Hannes Schmidhuber stellt wohl eines der eindrucksvollsten Kapitel in der Geschichte der Tiroler Bergrettung dar. (spitz)
Das Tourenbuch von Hannes Schmidhuber gibt Zeugnis von seiner zeichnerischen Begabung