Kurt Kranebitter erzählt von seinen eindrucksvollsten BR-Einsätzen


6.-7.1.1958 Einsatz Vomperloch

Anruf um 15°° von der Wirtin des Gasthauses Karwendelrast, am Eingang ins Vomperloch: „Bei mir liegt ein verletzter Bergsteiger, Gesicht komplett blutverschmiert und ausgetrocknet er kann kaum reden. Er hat gedeutet, dass ganz hinten im Vomperloch in einer Jägerhütte ein am Kopf schwerverletzter Kollege von ihm liegt.“

Unsere Abfahrt war um 15Uhr 45. Bei Dämmerung erreichten wir die Karwendelrast und stellten fest, dass es Hannes Gasser erwischt hatte. Er hatte versucht mit seinem BH-Kollegen Leopold Ott eine Winterbegehung der Bettelwurf N-Wand (Stoll Route) zu machen. In der Wandmitte sind die beiden in eine Stein/Gerölllawine gekommen und mussten dort oben biwakieren. Ein weiterer Aufstieg war aufgrund der Kopfverletzung von Poltl nicht mehr möglich. Das bedeutete Rückzug und eine weitere Übernachtung in der Jägerhütte. Hannes war nicht schwer verletzt und hatte dann Alarm geschlagen.

Als wir uns aufmachten zum Marsch ins Vomperloch, war noch die Frage zu klären ob Akja oder Trage? Hannes sagte es sei wenig Schnee, Trage wäre besser. Nach ca. zweistündigem Marsch, bereits bei Dunkelheit, haben wir die Hütte gefunden.
Poltl war recht gut drauf, er hatte einen dicken Verband am Kopf. Gerhard Flora hat sofort das Kommando übernommen. Er kümmerte sich um den Verletzten und die anderen sollten um Holz schauen, weil dem Verletzten Wärme zugeführt werden musste. Ich sollte für Gerhard als Helfer, ihm bei seiner Arbeit mit der Taschenlampe – die er teilweise im Mund fixierte – assistieren. Nach Abnahme des Verbandes vom Kopf (dieser bestand aus einer Wollmütze, Schal, Handschuhe, usw., weil Verband oder Pflaster nicht vorhanden war), wurde die Bescherung ersichtlich. Er hatte über die gesamte Kopfhaut einen Riss, sodass die beiden Hauthälften ganz zurück ins Genick gerutscht waren. Für Gerhard ein klarer Fall für einen sofortigen chirurgischen Eingriff. Seine Prämisse hat immer gelautet, wenn möglich den Patienten schon am Berg zu versorgen. Meine Aufgabe war es, mit viel Kraftanstrengung die beiden Hauthälften nach oben zu schieben, sodass sie Gerhard wieder zusammennähen konnte. Dies hatte eine Weile gedauert, aber zum Schluss war der Schädel wieder zur Gänze mit Kopfhaut bedeckt. Wie wir später erfahren haben, hat diese Naht auch gehalten und es musste in der Klinik nichts mehr nachgebessert werden.

In der Zwischenzeit hatten die Kameraden schon Feuer gemacht und Tee für Poltl serviert. Poltl wurde immer munterer und war bereit zum Abtransport nach Vomp. Die Hütte steht im Talboden mit sehr viel Schnee. Es war daher eine Riesenschinderei den Patienten mit der Trage, ohne Rad, bis zum Hang und über diesen hinauf zu dem etwas höher gelegen Weg zu transportieren. Dem Poltl hat diese Belastung der Bergretter überhaupt nicht gefallen, sodass er von der Trage herunter stieg, sich den Rest des Hanges selbständig bis zum Weg hinauf begab und in der Folge noch zu Fuß bis zum Gasthaus Karwendelrast gegangen ist.

Zwischenzeitlich war es vier Uhr in der Früh und wir fuhren mit dem Jeep (mit Fetzendachl) nach Hause. Poltl nahm am hinteren Sitz Platz, mit einer Leitung (Traubenzucker) im Arm, die Flasche wurde am Fetzendachl aufgehängt. Von einem beheizten Bus war damals bei der Bergrettung noch lange keine Rede. Für zwei von uns war daher im Jeep kein Platz mehr, sodass sich ein Lager für uns nur mehr im Anhänger ergab. Wir waren so hin, dass wir auch dort hinten bis zur Ankunft in der Klinik Innsbruck gut geschlafen haben. Anschließend war Körperreinigung angesagt und ab in die Arbeit.

30.-31.12.1958 Lawineneinsatz Potsdamerhütte
Anfahrt mit Jeep in die Fotsch bis es im Schnee nicht mehr weiterging. Wir waren damals von Innsbruck aus auch für dieses Gebiet zuständig, weil es in dieser Gegend noch keine Ortsstelle gab. Gegen Abend, schon bei einbrechender Dunkelheit, Ankunft auf der Hütte. Die beiden Toten waren schon von den Kameraden aus der Lawine geborgen und zur Hütte gebracht worden.

Nach Übernachtung auf der Hütte folgte der Abtransport der Leichen mit zwei Akja`s nach Sellrain. Akja 1 fuhr Spitz mit Aufischer Horst, Akja 2 Plattner Heindl und ich. Auf der Fahrt zum Bergheim Fotsch hinunter mussten wir einige gefrorene Lawinenkegel überqueren. Wenn ich am Kegel oben war und dann wieder hinunter fuhr, war der Heindl unten und damit zu klein, dass er beide Holme erfassen konnte. Das hat dann dazu geführt, dass wir mit Holmen im gefrorenen Schnee eingestochen sind und gleich ein Holm abgebrochen ist. So irgendwie sind wir dann beim Bergheim unten angekommen.

Jetzt mussten wir beide Toten mit allem Zubehör wie Ski, Rucksäcke usw. auf einen Akja auflegen, weil der zweite wieder auf die Hütte zurückgebracht werden musste. An eine Überladung oder an zu hohes Gesamtgewicht hat überhaupt niemand gedacht. Es war schon eine Riesenanstrengung dieses Gefährt bis zum eigentlichen Hohlweg zu bewegen, weil es da leicht bergauf ging. Endlich begann die Abfahrt. Heindl hatte noch laut geschrien: „ I siach nix !“ Der Ski Schuh eines der beiden Toten ist beim Akja darüber hinausgestanden, hatte dadurch am Eisboden gekratzt dem Heindl eine Schneefontäne ins Gesicht geblasen. Nach Behebung dieses Problems (verdrehen und verbiegen des steifen Fußes), ging die Höllenfahrt wieder weiter. Beide Toten waren ca. zwei Meter große Menschen. Nach einigen Meter Fahrt erkannten wir, dass ein viel zu hohes Gesamtgewicht aufgeladen war. Es war aber einfach zu spät, der Weg wurde immer steiler und eisiger. Die Brems-Kette konnte nicht wirklich eingesetzt werden, weil durch mein Andrücken vorne, der Heindl hinten in die Luft gehoben wurde.

Als ich bei einer der Kurven ums Eck gefahren bin, stand mitten am ohnehin sehr schmalen Weg ein Holzfuhrwerk mit zwei Haflinger Pferden vor uns. Vom linksseitigen Wald wurden Holzstämme heruntergeschossen und am Fuhrwerk aufgeladen. Von stehen bleiben war überhaupt keine Rede, es bestand die Möglichkeit entweder mit Aussicht auf schwere Verletzungen hinunter in den Bach auszuweichen, oder frontal auf die beiden Pferde loszufahren, was sicher für mich tödlich geendet hätte. Ich bin dann, wie das gegangen ist, weiß ich nicht mehr, den Hang hinauf geschossen, im Wald Rumpel die Pumpel über die herunter kommenden Holzstämme darüber gefahren und hinter dem Fuhrwerk wieder auf die Straße gekommen. Heindl hat mich irgendwie wieder eingeholt, sodass wir neben dem Gasthaus Neuwirt in Sellrain endlich zum Stehen gekommen sind.

Die Akjafahrt war nun beendet und es musste noch der Transport nach Innsbruck erfolgen. Wir haben die beiden Toten, die bereits bocksteif gefroren waren – wie schon auf der Hütte praktiziert – am Kopf und an den Schuhen angefasst, in den Jeep-Anhänger gehoben. Dazu noch sämtliches Zubehör wie Ski Ausrüstung, Akja usw. Es war damals immer der Brauch, dass wir die Toten in der Pathologie in Innsbruck abgeliefert haben. Dort gab es wieder das übliche Prozedere wie Schlüssel suchen, bestehende Särge öffnen und Platz für die Toten machen. Nachdem wir die entsprechenden Plätze gefunden hatten, mussten die beiden Toten noch eingelagert werden. Es war damals so, dass der Eingang der Pathologie über einige Treppen zu erreichen war. Wir nahmen den ersten Toten in gewohnter Manier wieder bei Kopf und Füssen und wollten damit über die Treppe hinauf. Im Gegensatz zu Sellrain ist in Innsbruck der Föhn gegangen und damit wurde alles aufgeweicht, sodass wir auf der Stiege einen der beiden Toten nicht mehr halten konnten, weil er die Beine eingezogen hatte. Nach längerem ziehen, heben und schieben, konnten wir diese Prozedur doch noch zum Abschluss bringen. (ws)